AUSZÜGE AUS DEM BUCH:
Das wichtigst Fazit dieses Buches: Die Ökonomie hat die Theologie und Ethik besiegt.
Der 1907 eröffnete Münchener Waldfriedhof wurde zu einer Art Initialzündung für strenge Friedhofsvorschriften und damit für den heutigen Ordnungswahn. Von da an verloren die Gräber ihre Individualität, jedes Grab sollte nun noch dem Standard genügen . Wenn man sich heute Gräber ansieht, sehen alle in der Regel uniform und „ordentlich“ aus, mit einem Grabstein aus poliertem Marmor und gleichmäßiger Bepflanzung. Irgendwann wurde das Aussehen aller Grabsteine durch strenge Vorschriften überall reglementiert, was dazu geführt hat, dass die letzten Ruhestätten fast so monoton aussehen, wie Klingelschilder am Eingang eines Hochhauses. Was schade ist, denn das, was Gräber wirklich persönlich macht, fehlt heute meistens.
In Herne hat die evangelische Kirche auf ihrem Friedhof untersagt, einen Grabstein mit einer in Bronze gegossenen Orchidee aufzustellen, obwohl das der letzte Wunsch der Verstorbenen war. Das herzlose Verbot wurde damit begründet, dass die Orchidee kein christliches Symbol sei.
Ähnlich erging es verzweifelten Eltern in Dortmund-Bodelschwingh. Sie wollten auf den Grabstein ihres im Alter von neun Jahren verstorbenen Sohnes das Logo seines Lieblingsvereins Borussia Dortmund anbringen lassen, versehen mit dem Schriftzug ‚Echte Liebe‘. Das hat dann die katholische Kirche durch beharrlichen Widerstand verhindert.
Wenn man heute auf einen Friedhof kommt, sieht man am Eingang einen großen Anschlag mit Dingen, die verboten sind: Man darf keine Hunde mitbringen, die ja für viele Menschen gerade auch in der Trauer ein wichtiger Begleiter sind . Man darf nicht rauchen, nicht lärmen und nicht spielen. Das Lebendige, das man zum Beispiel von Friedhöfen im Süden kennt, dass sich eine Familie am Grab trifft, etwas zusammen isst, trinkt und lacht, wird heutzutage nicht mehr gerne gesehen. Wenn man sich die großen Schilder an den Eingängen zu den Friedhöfen einmal genauer anschauen würde, dann würde man feststellen, dass die meisten Regeln nicht mehr in die Zeit passen.
Die Verwaltung bügelt Wünsche der Trauernden mit Hinweis auf die Paragrafen ab, anstatt sich Gedanken zu machen, wie man den Trauernden in ihrer schwierigen Situation helfen könnte. Die Stadt- und Gemeindeverwaltungen müssen aufwachen und das Thema auf die Tagesordnung ihrer Parlamente setzen.
Ich finde, der Gesetzgeber muss seine Verantwortung gegenüber trauernden Menschen endlich wahrnehmen. Manchmal werden die Satzungen auch dazu benutzt, sich gegenseitig das Leben schwer zu machen. Trauernde sind in einer Notsituation. Das eigene Leid wird nicht dadurch geringer, dass ich andere Trauernde mittels Friedhofssatzung versuche unter Druck zu setzen, nur weil sie vielleicht eine andere Auffassung von Grabpflege haben. Das Fehlen der Friedhofssatzung würde viele Friedhöfe wahrscheinlich zu lebendigeren Orten machen.
„Ich glaube, der Wunsch einiger Menschen, die Urne zuhause aufbewahren zu dürfen, hat auch damit zu tun, weil sie glauben, auf dem Friedhof ihre Liebe nicht so ausdrücken zu dürfen, wie sie das gerne würden. Durch die ganzen Vorschriften entsteht häufig ein Ort, den man in einer bestimmten Art und Weise gestalten muss, der aber nicht das ausdrückt, was man sich wünscht oder der die Veränderung widerspiegelt, die man vielleicht gerade im Trauerprozess durchmacht.
Ein großes Thema bei Friedhöfen ist die Grabpflege. Die ältere Generation will ihren Kindern die Grabpflege aus Bescheidenheit oft nicht mehr aufbürden, einfach weil sie selbst die Erfahrung gemacht hat, dass es sehr mühsam und teuer sein kann, ein Grab 30 oder 40 Jahre nach den gängigen Vorschriften zu pflegen. Dieses Thema wird oft in den Familien nicht angesprochen und so verschwindet der ein oder andere in einem anonymen Grab, obwohl die Nachkommen vielleicht gerne einen Platz hätten, zu dem sie gehen können, um vielleicht noch einmal zu sagen: ‚Ich habe dich lieb‘. Manchmal wissen wir vorher nicht, wie wichtig ein solcher Ort für uns werden könnte, ein Ort, an dem man sich verbunden fühlen kann. Ich glaube, dass solche Orte sehr wertvoll sind.
Die Friedhofssatzung lässt im Grunde nur stille andächtige Trauer zu. Aber was ist mit Gefühlen wie Glück und auch Wut? Man kann doch auf dem Friedhof einfach auch fröhlich sein, glücklich, dass da jemand war, der das Leben bereichert hat!
Die Vorstellung, dass der Tote in der Erde zur Ruhe gebettet wird, löst, mit Blick auf die Prozesse, die mit der Verwesung verbunden sind, bei vielen Menschen Furcht und Abscheu aus. Ähnlich verhält es sich mit der Vorstellung, dass nach der Kremation die verbliebenen Knochenreste zermahlen werden. Dies führt häufig sogar zu einem Rückgängigmachen der Kremierungsentscheidung.
Trauerarbeit ist nicht an den Friedhof gebunden, sondern sie sucht sich vielfältige Orte der Auseinandersetzung mit den Verstorbenen und der Neuorientierung des Lebens.